19. ITG Fachtagung Zukunft der Netze (ZdN)
gemeinsam organisiert bei der NetSys Konferenz 2025
Vom 1. bis 4. September 2025 fand die „International GI/ITG Conference on Networked Systems (NetSys 2019)“ an der Technischen Universität Ilmenau statt. Ein integraler Bestandteil davon war das 19. ITG Symposium „Future of Networking“, bekannt auch als „Zukunft der Netze (ZdN)“, welches vom VDE ITG Fachausschuss KT 2 ausgerichtet wurde.
Auf dem Weg in eine hypervernetzte Zukunft wird die nächste Generation von Kommunikationstechnologien, -netzen und -systemen nicht nur die Art und Weise verändern, wie wir uns verbinden, sondern auch wie wir unsere digitalen Umgebungen verwalten, sichern und optimieren. Das diesjährige VDE ITG Expertensymposium zur Zukunft der Netze zeigte aktuelle Forschungsergebnisse und wegweisende Erkenntnisse zu den entscheidenden Säulen der Netze von morgen. Zum Auftakt begrüßte Joachim Sachs (Ericsson) als Co-Sprecher der VDE ITG KT 2 die mehr als 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem Überblick über das Programm und die 14 eingeladenen Expertenvorträge sowie einem kurzen Rückblick auf die traditionsreiche Veranstaltung.
Fotos: Peter Amthor (TU Ilmenau)
Der Fokus der ersten Session lag auf Sicherheit und Resilienz. Felix Klement (U Passau) zeigte auf, dass Sicherheit in ORAN-Systemen vielfältige Herausforderungen birgt, von adversarial Machine Learning über Virtualisierung bis hin zu offenen Schnittstellen, aber gleichzeitig Chancen in Bereichen wie Explainable AI, Continuous Integration/Continuous Development (CD) oder Hardwarebeschleunigung eröffnet. Die zentrale Botschaft war, dass ORAN nicht Funktionalität über Sicherheit stellen sollte, sondern durch Security-by-Design, kontinuierliche Bedrohungsanalysen und integrative Sicherheitsmodule zukunftssicher gemacht werden müssen. In der Diskussion mit dem Publikum wurde angemerkt, dass Mobile Netze bereits sicher sind. Mit ORAN entstehen jedoch neue offene Schnittstellen, deren Absicherung daher von zentraler Bedeutung ist. In der Diskussion wurde auch erörtert, dass die BSI-Empfehlungen von 2021 zur ORAN-Sicherheit zwar noch nicht vollständig gelöst sind, aber daran gearbeitet wird.
Heiner Grottendieck (Referatsleiter, BSI) bestätigte, dass sich die ORAN Situation seitdem positiv weiterentwickelt hat, und stellte im Anschluss TEMIS (Test Environment for mobile infrastructure security) vor. Mit TEMIS stellt das BSI ein Testumfeld bereit, das 5G-Sicherheit praxisnah überprüft und als Enabler für MNOs, Hersteller und Forschungsprojekte dient. Das isolierte Carrier-Grade-Lab umfasst Virtualisierung, Core- und RAN-Komponenten verschiedener Anbieter, ORAN sowie nicht-öffentliche 5G-Netze und ermöglicht durch Open-Source- und Vendor-Tools umfassende Sicherheits- und Resilienztests. pySCASso ist ein GitHub-Framework für automatisierte Security Assurance Specifications (SCAS) Tests, das erste Module abdeckt und Angriffe auf 5G-Core-Funktionen demonstriert.
Future Railway Mobile Communication System (FRMCS) soll GSM-R ablösen und auf Basis von 3GPP-Standards eine effiziente, zuverlässige und sichere Kommunikation im Bahnbetrieb ermöglichen, mit deutlich höheren Datenraten und minimalen Latenzen dank 5G als Transportebene. Klaus Mössner (TU Chemnitz) zeigt, wie die Kombination privater FRMCS-Infrastrukturen mit öffentlichen 5G-Netzen die Resilienz steigern und nahtloses Umschalten für mission-kritische Anwendungen wie automatisiertes Fahren ermöglichen kann.
Georg Carle (TU München) stellte SLICES-DE vor, die erste nationale Forschungsinfrastruktur im Bereich ICT, welche digitale Ressourcen für Computing und Kommunikation in Deutschland und Europa bereitstellen soll. Die Plattform soll gemeinsame Testbed-Ressourcen mit Zugang, Reservierung, Reproduzierbarkeit und FAIR-basiertem Datenmanagement bereitstellen, in EOSC und NFDI eingebettet sein und durch Blueprints sowie Kooperationen mit der Industrie praxisnahe Referenzexperimente in ICT-Bereichen wie 6G, KI, Cybersecurity, HPC, IoT, Cloud-Edge und Quantencomputing ermöglicht. Mehr Informationen unter https://www.slices-de.org/
Felix Klement (U Passau)
Klaus Mössner (TU Chemnitz)
Heiner Grottendieck (Referatsleiter, BSI)
Georg Carle (TU München)
Die zweite Sitzung wurde von Ralf Tönjes (HS Osnabrück) geleitet, die sich auf Wireless Realtime konzentrierte. Dolores Pérez Guirao (Ostfalia HW) gab einen Überblick zu DECT NR+ als eine offene, 5G-konforme Funktechnologie, die ohne Infrastruktur auskommt. Mit flexibler PHY/MAC-Architektur, Mesh-Fähigkeiten und Anwendungsszenarien von drahtlosen Audio-Netzen, über Smart Metering, Smart Buildings hin zu Smart Cities ist DECT NR+ ein interessanter Kandidat für dezentrale infrastrukturlose Netze und darauf laufenden Anwendungen.
José Fontalvo-Hernández (Siemens) analysierte synchrone (time aware shaping, TAS) und asynchrone (asynchronous traffic shaping, ATS) Mechanismen zur Latenzgarantie in 5G-TSN-Netzen. Als Ergebnis wurde gezeigt, dass TAS extrem niedrige Latenzen (etwa 1 ms bei 10 Hops) erreicht; ATS liegt bei 2-5 ms. TAS kann mit Puffern zur Jitterreduktion kombiniert werden, was allerdings höhere End-to-End-Delays verursacht. Dahingehend ist ATS heute praktikabel und erlaubt Zero-Jitter. Die Auswahl der TSN Mechanismen muss neben der technischen Perspektive aber auch die wirtschaftlichen Kosten (CAPEX und OPEX) betrachten. Zukünftig wird TAS für 6G System mit weniger als 1 ms Verzögerung besonders attraktiv, da es für stabile Topologien präzise Zeitpläne und perspektivisch sogar Zero-Jitter ermöglichen könnte. Dadurch wird allerdings weitere Standardisierungsarbeit notwendig sein.
Frank Dürr und Simon Egger (U Stuttgart) zeigten, dass zukünftige 5G/6G-Netze als virtuelle TSN-Brücken betrachtet werden können, deren Latenz- und Jitter-Charakteristika sich grundlegend von drahtgebundenen Netzen unterscheiden. Um in solchen Netzen effiziente Latenzgarantien zu ermöglichen, sind neue Konzepte wie wireless-friendly End-to-End-Scheduling mit Delay-Monitoring, Vorhersagen und Jitter-Kontrolle erforderlich. Der Wireless-friendly E2E Scheduler nutzt in 5G erfasste Delay-Histogramme, Paketverzögerungskorrektur (Jitter-Kontrolle) und eine Control-Plane-Erweiterung nach P802.1Qee, die formale Ende-zu-Ende-Garantien für Latenz und Zuverlässigkeit ermöglichen.
Dolores Pérez Guirao (Ostfalia HW)
Simon Egger (U Stuttgart)
Varun Gowtham (Fraunhofer Fokus)
Frank Dürr (U Stuttgart)
Im Fokus der nächsten Session waren innovative Forschungsarbeiten zu 6G. Christian Mannweiler (Nokia) gab einen Überblick über zentrale 6G-Forschungsergebnisse des Leuchtturmprojektes 6G-Anna. Das Projekt leistet wichtige Beiträge zu Standardisierung und IPRs, entwickelt eine E2E-6G-Architektur mit funktionalen und Deploymentszenarien und adressiert Themen wie Energieeffizienz, KI-gestützte Optimierung, Sicherheit, Resilienz und Digital-Twin-Ansätze. Die 6G Sicherheit umfasst resiliente lokale Operationen, Wiederherstellung nach Ausfällen, Intrusions- und Anomalieerkennung, Authentifizierung und Gerätemanagement sowie die Integrität von Hard- und Software-Komponenten. Das ‚Network of Networks‘ umfasst verschiedene Ausprägungen von Subnetzen und spezialisierten Netzen, etwa Intra-Plane-Netze für Multimedia und Signalisierung. 6G Access fokussiert auf energieeffizientes OFDM, optimierte Protokolle, flexible CU/DU-Splits, adaptive PHY mit Sleep-Modi und Wake-up-Receiver, automatisiertes RAN-Management, Sicherheit auf MAC-Ebene sowie KI/ML-gestützte Optimierung. Automation and Simplifikation in 6G setzen auf Digital-Twin-Architekturen, intent-basierte RRM-Automatisierung und die Echtzeit-Interaktion von Netzwerk- und Fabrik-Digital Twins zur Ressourcenoptimierung.
Christian Wietfeld (TU Dortmund) präsentierte den Ansatz HELIOS, wie passive, maßgeschneiderte Reflektoren die mmWave-Abdeckung in industriellen Umgebungen verbessern können, inspiriert von Akustiklösungen der Elbphilharmonie und als passive zero-energy Ergänzung zu 6G-Netzen. Durch digitale Zwillinge, KI-gestütztes Modellierung der Funkausbreitung und automatisierte Positionierung eröffnen diese Konzepte für intelligente Reflektoren neue Möglichkeiten für ressourceneffiziente, flexible und grüne Netzwerke. Das HELIOS-Konzept wurde zu R-HELIOS, unterstützt durch die 6GEM Hubs, weiterentwickelt. Mit mechatronischen Komponenten, Fernsteuerung und Beam Orchestration Center lassen sich so zukünftige 6G-Funktionalitäten, auch unter häufig wechselnden Umgebungsbedingungen, erproben.
Werner Mohr zeigte aus system-, antennen- und signaltheoretischer Perspektive, dass herkömmliche RIS-Ansätze (Reconfigurable Intelligent Surfaces) zwar zur Abdeckungserweiterung beitragen können, die Kontrolle der Funkumgebung jedoch durch unvermeidbare Mehrpfad-Verzögerungen begrenzt bleibt. Praktikable Alternativen sind einfache metallische Spiegel oder aktive Repeater, wobei Mohr zu dem Schluss kommt, dass HELIOS eine sehr gute Möglichkeit bietet.
Jörg Benze (Deutsche Telekom) stellte im Rahmen des IPCEI-CIS-Projekts die Herausforderungen und Lösungsansätze für ein europaweites Multi-Provider-Cloud-Edge-Continuum vor: Ziel ist eine Referenzarchitektur, die Edge-Ressourcen verschiedener Anbieter integriert, auf Containern (Kubernetes) basiert und eine enge Verzahnung mit dem Netz ermöglicht. Nach dem Vorbild der Energiebranche wird das Themenfeld in Domains und Zonen gegliedert und vollständig in sogenannte ‚Cubes‘ unterteilt. Die Architektur des Cloud-Edge-Continuums umfasst den Physical Layer, Network Systems Layer, Virtualization Layer, Cloud-Edge Platform Layer, Service Orchestration Layer, AI Layer, Data Layer und Application Layer.
Christian Mannweiler (Nokia)
Werner Mohr
Christian Wietfeld (TU Dortmund)
Jörg Benze (Deutsche Telekom)
Die abschließende Session betrachtete AI in Networking. Abdulrahman Alabbasi (Ericsson) machte deutlich, dass AI im RAN kein Plug-and-Play ist, sondern sich den strengen Systemgrenzen wie Latenz, Ressourcenknappheit, Interoperabilität und Vertrauensfragen stellen muss. Praxisnahe Use Cases reichen von Mobilitätsoptimierung über Lastverteilungen, Energieeinsparungen bis hin zu Network Slicing, wobei AI vor allem bei Netzbeobachtbarkeit, Prognosen, realistischen Modellen sowie Reasoning- und Learning-Ansätzen unterstützen soll. Allianzen und Standardisierungsgremien bereiten den Weg für AI-for-RAN (Ziel: optimiere RAN), AI-and-RAN (Ziel: gemeinsame Nutzung von Ressourcen zwischen RAN und AI-Anwendungen) und AI-on-RAN Konzepte (Ziel: neue RAN-Dienste zur Unterstützung von AI-Anwendungen am Netzrand). Wichtige Allianzen sind die AI-RAN Alliance (AI-native RAN), die NGMN Alliance (operator-getrieben, Anforderungen für 5G / 6G) sowie das Telecom Infra Project TIP (OpenRAN, OpenCore, TelcoAI). AI hat Schwächen bei unzureichenden Daten oder schlechter Datenqualität, extremen Anforderungen, Infrastruktur- und Erklärbarkeitslücken und ist nicht nötig, wenn deterministische, gut optimierte Funktionen mit klarer Nachvollziehbarkeit ausreichen. Die zentrale Erkenntnis ist: AI ist kein Allheilmittel, sondern muss sorgfältig validiert und an RAN-spezifische Bedingungen angepasst werden.
Carsten Bockelmann (Universität Bremen) stellte die Rolle und das Potenzial von AI auf der physikalischen Schicht dar. AI kann dort helfen, wo Modell- oder Algorithmusdefizite bestehen, etwa beim Beamforming für Satellitenkonstellationen mittels Reinforcement Learning. Weitere Ansätze sind AI-Lösungen für das Information-Bottleneck-Prinzip, um in Zwischenknoten nur die für die Signalrekonstruktion relevanten Informationen weiterzuleiten. Zudem kann AI zur Vorhersage hochdynamischer Interferenzen eingesetzt werden, um Folgefunktionen wie die Ressourcenallokation zu verbessern.
Varun Gowtham (Fraunhofer Fokus) präsentierte mit KG-GPT ein intent-basiertes Managementsystem für künftige Netze, das auf Knowledge Graphs und Large Language Models (LLMs) aufsetzt. Zentrale Aspekte sind die Wahl geeigneter Datenrepräsentationen zur Abbildung von Abstraktionsebenen, die Nutzung von Attention-Mechanismen für Reasoning sowie ein Graph2Graph-Ansatz. Mit GNN-ATIVE entsteht so ein AI-natives, graphbasiertes Orchestrierungssystem für drahtlose Netze der nächsten Generation.
Abdulrahman Alabbasi (Ericsson)
Abdulrahman Alabbasi (Ericsson)
Varun Gowtham (Fraunhofer Fokus)
Ein herzliches Dankeschön sei an dieser Stelle gerichtet an alle eingeladenen Sprecher für die begeisternden Vorträge, an das Publikum für die rege Diskussion, an die lokalen Organisatoren und insbesondere Boris Koldehofe (TU Ilmenau) für die hervorragende Unterstützung und den wunderbaren Rahmen für den fachlichen Austausch, aber auch für die soziale Interaktion. Wir freuen uns auf die nächste Zukunft der Netze in 2027, die nach 16 Jahren wieder in Hamburg stattfinden wird.
Tobias Hoßfeld (U Würzburg), Joachim Sachs (Ericsson), Wolfgang Kellerer (TU München)
Sprecher der VDE ITG KT2 “Communication Networks and Systems”
https://www.vde.com/itg-kt2